Als Luca sechzehn war, arbeitete er nebenbei in einem kleinen Reitverein außerhalb der Stadt. Er mistete die Ställe aus, verteilte Heu und durfte manchmal sogar die Pferde striegeln. Zu Hause sprach er kaum darüber, doch heimlich träumte er davon, eines Tages ein eigenes Pferd zu besitzen.
An einem kalten Märztabend hörte er gedämpfte Stimmen beim Stall der Stute namens Stern. Sie sollte bald ihr Fohlen bekommen – doch etwas war schiefgelaufen. Der Tierarzt runzelte die Stirn und sagte mit gedämpfter Stimme
„Die Lage des Fohlens ist falsch. Wenn wir es versuchen, sterben beide – sie und das Fohlen. Wir müssen sie einschläfern.“
Die Besitzerin nickte. Luca erstarrte. Ohne zu wissen, wie, trugen ihn seine Beine zu ihnen.
„Wartet… Lasst uns es noch einmal versuchen. Bitte.“
Der Tierarzt seufzte schwer, reichte ihm aber die Handschuhe.
„Dann halte ihren Kopf. Wenn es nicht klappt, liegt die Verantwortung bei dir.“
Luca stand neben Stern, strich über ihren warmen Hals und flüsterte beruhigend. Der Tierarzt und sein Helfer zogen das Fohlen heraus, die Stute zitterte, die Luft war erfüllt von Dampf und Blut. Schließlich – ein schwaches Rascheln. Ein kleines, nasses Fohlen lag im Stroh. Doch es atmete nicht.
Luca fiel auf die Knie, rieb es mit Stroh, wärmte es mit seinen Händen, blies Luft in die winzigen Nüstern.
„Atme… bitte… atme.“
Und dann – ein Atemzug. Zuerst schwach, dann immer kräftiger, als wollte es sich verzweifelt am Leben festhalten.
So wurde das Fohlen geboren, das man Graham nannte. Von diesem Tag an kam Luca jeden Tag zu ihm. Er führte ihn am Halfter, putzte ihn, sprach mit ihm wie mit einem besten Freund. Graham wuchs heran – und ließ sich nur von ihm berühren.
Mit zwanzig arbeitete Luca bereits als Trainer. Graham war zu einem starken Hengst geworden – dunkles Fell, helle Stirnblesse, und eine unglaubliche Treue. Doch das Märchen hielt nicht lange.
Der Reitverein geriet in finanzielle Schwierigkeiten. Die Besitzerin sagte:
„Es tut mir leid, aber wir müssen einige Pferde verkaufen. Auch ihn.“
Luca flehte, bot seinen Lohn an, wollte Nachtschichten übernehmen – alles vergeblich. Eine Woche später brachte ein LKW Graham fort. Luca verließ das Haus nicht – er konnte es nicht.
Fünf Jahre lang ging er keinem Stall mehr nahe. Er zog in eine andere Stadt und wurde Automechaniker. Doch manchmal träumte er von Graham – wie er über ein Morgenfeld galoppierte, wie sein Atem sich im Nebel auflöste, das Schlagen seiner Hufe – und jedes Mal wachte Luca mit einer Leere im Herzen auf.
Eines späten Herbstabends fuhr er auf einer Landstraße. Nasser Asphalt, Nebel, die Scheinwerfer seltener Autos. Musik im Radio, Gedanken weit weg. Dann plötzlich – ein Lastwagen, Schleudern, quietschende Bremsen. Zu spät. Luca riss das Lenkrad herum, das Auto kam von der Straße ab, durchbrach die Leitplanke und stürzte den Abhang hinunter.
Ein harter Aufprall. Verbeultes Metall. Benzingeruch. Schmerzen in der Brust. Er versuchte, die Tür zu öffnen – sie klemmte. Nebel ringsum. Und plötzlich – ein Wiehern.
Er dachte, er halluziniere. Doch das Geräusch war echt. Laut, unruhig.
Aus dem Nebel trat ein Pferd. Ganz nass, Dampf stieg aus seinem Atem, dunkle Mähne – und die weiße Sternzeichnung auf der Stirn Graham.
Er trat näher, schlug mit dem Huf gegen die Autotür. Noch einmal. Luca sammelte seine letzten Kräfte, rammte die Schulter gegen das Glas, es barst. Graham packte seine Jacke mit den Zähnen und zog ihn buchstäblich heraus.
Eine Minute später stand das Auto in Flammen.
Luca lag auf dem kalten Gras, schockiert, spürte weder Schmerz noch Kälte. Das Pferd stand neben ihm, atmete schnell, als wäre es selbst erschrocken. Er hob die Hand, berührte den warmen Hals. Lebendig.
Ein fremdes Auto hielt, Menschen sprangen heraus. Luca wollte ihnen zeigen – doch das Pferd war verschwunden. Einfach im Nebel verflogen.
Seitdem legt er jeden Herbst eine Möhre am Waldrand ab und sagt in die Stille:
„Danke. Ich habe dich nicht vergessen.“

