Das nordische Dorf Lindvard lag am Rand eines Waldes, dort, wo er in die unendliche Fläche eines zugefrorenen Sees überging. Im Winter stand hier alles still – der Wind heulte über die schneebedeckte Ebene, die Dächer waren von Eis überzogen, und aus den Fenstern der Häuser schimmerte das gelbliche Licht der Holzöfen. Die Menschen gingen früh schlafen und verließen nach Einbruch der Dunkelheit selten ihre Häuser – zu viel Seltsames ging in diesen Wäldern umher.
Doch an jenem frostigen Januarmorgen, an dem die Kälte die Luft so fest umschloss, dass der Atem wie Glas wirkte, nahm der Jäger Erik Holm sein Gewehr, einen Leinensack und machte sich auf den Weg in den Wald. Er wollte seine Fallen am alten Bach kontrollieren, der in den See mündete. Der Wind war abgeflaut, der Schnee funkelte im blassen Sonnenlicht.
Er ging den vertrauten Pfad – bis er etwas Sonderbares sah.
Auf der weißen Fläche des Sees, näher zur Mitte hin, war der Schnee zu einer Spur plattgetreten. Und darin – deutlich, tief eingeprägt – nackte menschliche Fußspuren. Klein, fast wie von einer Frau. Sie kamen vom Wald… und führten direkt über das Eis.
Erik blieb wie erstarrt stehen.
— Wer… geht bei dieser eisigen Kälte… barfuß?
Er dachte, jemand brauche Hilfe. Doch als er näher kam, blieb er erneut wie angewurzelt stehen: Zwischen den Spuren gab es keine Abdrücke von Schuhen, keinen Schlitten, keine Schleifspuren. Nur nackte Füße – jeder Zeh, jede Rille der Haut war im Schnee zu erkennen.
Er folgte der Spur. Es war still, nur der Schnee knirschte unter seinen Stiefeln. Doch das Schlimmste lag noch vor ihm.
Die Spuren endeten nicht am Ufer.
Sie bogen nicht ab.
Sie verschwanden nicht.
Sie gingen direkt unter das Eis.
Dort, wo der letzte Schritt zu sehen war, war das Eis klarer als ringsum. Darunter schimmerte schwarzes Wasser. Die Fläche darunter wirkte, als würde sie atmen. Erik kniete sich hin und strich mit der Hand über das Eis.
Kälte. Ein feines Knacken.
Und dann – sah er es.
Unter dem Eis, direkt vor seiner Hand… lag eine Hand. Blass. Regungslos. Die Finger an die Unterseite des Eises gepresst – als hätte jemand von unten versucht, hinauszugelangen.
Erik stolperte zurück, das Herz schlug ihm bis zum Hals. Er sprang auf – und rannte ins Dorf.
Am Abend kehrten der Dorfälteste, der Pastor, einige Männer und Erik gemeinsam zum See zurück. Doch die Spuren waren verschwunden – wie vom Wind verweht. Und unter dem Eis – keine Hand, kein Körper.
Alle sagten: Einbildung. Kälte, Müdigkeit, ein Spiel des Lichts.
Alle – außer der alten Ingrid, die am Waldrand wohnte.
Sie sagte:
— Das ist keine neue Geschichte. Jeden Winter geht jemand über das Eis… barfuß. Und unter dem Eis ist kein Wasser. Dort hört man zu.
— Wer hört zu? fragte Erik.
Die Alte antwortete nicht. Sie sah nur zum See – mit einem Blick voller Trauer, als wüsste sie, wer die Menschen dorthin ruft.
In der nächsten Nacht schlief Erik nicht. Die Gedanken brannten wie Frost. Er nahm eine Laterne, einen Fellumhang – und ging wieder zum See.
Der Schnee knirschte leiser. Der Mond legte milchiges Licht auf die Eisfläche.
Und plötzlich…
Sah er sie wieder.
Die Spuren.
Dieselben nackten Fußspuren. Frisch. Als wäre jemand gerade eben dort entlanggegangen.
Doch diesmal… führten sie aus dem Eis – hinaus.

