Für ihn war dieser Tag etwas Besonderes. Fünfundsiebzig Jahre – ein Alter, in dem jeder Anruf, jedes Treffen mit den Angehörigen besonders wertvoll wird. Der alte Mann bereitete sich im Voraus vor: Er räumte das Haus auf, bestellte einen kleinen Kuchen und stellte Fotos seiner Kinder und Enkelkinder an einen gut sichtbaren Platz. Er wartete.
Der Morgen verging in Stille. Niemand kam. „Wahrscheinlich kommen alle am Abend zusammen“, dachte er und richtete die Tischdecke auf dem festlich gedeckten Tisch. Die Stunden vergingen quälend langsam. Bei jedem Klingeln des Telefons setzte sein Herz aus, aber es waren nur Nachbarn oder Werbeanrufe.
Als es dunkel wurde, wurde ihm klar: Niemand würde kommen. Weder seine Kinder noch seine Enkelkinder. Es gab nicht einmal einen Anruf. Er saß allein am Tisch vor der Torte mit den Kerzen, die er nie angezündet hatte.
Eine Leere breitete sich in seiner Brust aus. Da beschloss er, selbst anzurufen. Das Telefon seines ältesten Sohnes war ausgeschaltet. Seine Tochter ging nicht ran, nur das Freizeichen war zu hören. Er wählte die Nummer seines Enkels, und genau dieses Gespräch brach ihn endgültig.
„Opa, entschuldige … Wir haben unsere eigenen Sachen zu erledigen. Wir können nicht kommen. Und überhaupt … du solltest besser nicht warten.“ Die Stimme klang kalt, als gehöre sie einem Fremden.
Der alte Mann legte den Hörer auf und starrte lange aus dem Fenster. Da begriff er die schreckliche Wahrheit: Seine Familie war schon lange keine Familie mehr. Für sie war er nur noch ein Schatten der Vergangenheit, ein Mensch, der ihr neues Leben störte.
In dieser Nacht brachte er den Kuchen in den Hof und verteilte ihn an die Nachbarskinder. Diese lachten fröhlich und bedankten sich, während er durch seine Tränen hindurch lächelte. Denn fremde Kinder standen ihm näher als seine eigenen.
Die Geschichte verbreitete sich in den sozialen Netzwerken, als einer der Nachbarn sie online erzählte. Menschen aus aller Welt schrieben Worte der Unterstützung und boten an, zu kommen und gemeinsam zu feiern. Die Kommentare waren voller Wut und Mitgefühl: „Wie kann man einen Vater an einem solchen Tag im Stich lassen?“, schrieben die einen. „Er hat eine neue Familie in uns gefunden“, antworteten andere.
Jetzt kennen Tausende von Menschen seinen Namen. Und obwohl seine Verwandten sich von ihm abgewandt haben, sind neue Menschen in sein Leben getreten, die bewiesen haben: Manchmal ist die wahre Familie die, die einem nahe steht, und nicht die, mit der man blutsverwandt ist.

