Wir wollten die Berge sehen – und fanden uns kopfüber in einem Auto wieder

Wir hatten schon lange davon geträumt, die Alpen zu sehen – die echten, schneebedeckten, glänzenden Gipfel, wie man sie nur auf Postkarten sieht. Ich, Emil Hoffmann, meine Freundin Larisa Rein, und zwei unserer Freunde – Mario Carvero und Sofie Lindström – mieteten ein Auto in München und fuhren früh am Morgen los, um den ersten Sonnenaufgang über den österreichischen Bergen zu erleben.

Der Tag begann perfekt. Der Himmel war grau, doch langsam wurde er heller. Die Straße schlängelte sich durch kleine Dörfer, wo die Häuser geschnitzt und bemalt waren, und Kühe träge auf die Weiden trotteten. Wir lachten, hörten Musik, tranken heißen Kaffee aus dem Thermobecher und schmiedeten Pläne, wie wir später über die Gletscher wandern würden.

„Wenn wir Glück haben,“ sagte Mario und beugte sich über die Karte, „schaffen wir es rechtzeitig zur Seilbahn und sehen den Sonnenaufgang über den Gipfeln.“

Doch die Berge kamen schneller näher, als wir dachten – und mit ihnen der Nebel. Erst leicht, silbrig, dann dichter, weiß, als hätte jemand Milch in die Luft gegossen. Die Straße wurde schmaler, die Kurven enger. Wir schalteten die Musik aus. Selbst der Motor klang plötzlich zu laut.

„Emil, fahr vorsichtig,“ flüsterte Sofie. „Hier kommt es oft zu Steinschlägen.“

Nach ein paar Minuten wurde der Regen zu Schneeregen. Der Asphalt glänzte wie Glas. Ich nahm das Gas zurück. Doch hinter der nächsten Kurve geschah das, womit keiner von uns gerechnet hatte.

Wir flogen.

Die Reifen verloren den Halt. Das Auto schleuderte, als hätte eine unsichtbare Hand es gestoßen. In meinen Ohren hallte Larissas Schrei. Das Lenkrad entglitt mir, und die Welt verwandelte sich in ein wirbelndes Chaos aus Glas, Schnee und Metall.

Ein Schlag.

Das Auto überschlug sich, prallte mit dem Dach gegen den Straßenrand, rollte den Hang hinunter und blieb schließlich zwischen zwei Felsen auf der Seite liegen. Im Innern roch es nach Benzin, nach verbranntem Airbag-Pulver – und nach Blut.

„Lebt ihr?!“ krächzte Mario.

Larisa weinte, nickte. Sofie hielt sich an der Seite, Blut rann über ihren Arm. Ich riss an meinem Gurt – er schnitt mir in die Brust, aber ich war bei Bewusstsein. Das Auto ächzte, der Wind pfiff durch die zerbrochene Scheibe, draußen nur weißer Nebel und Stille.

„Wir müssen raus,“ sagte ich, zitternd vor Kälte. „Das Auto könnte Feuer fangen.“

Mario trat mit dem Knie gegen die Reststücke des Fensters. Ich drückte die Tür auf – jetzt war sie das Dach. Kalte Luft schlug uns entgegen. Einer nach dem anderen krochen wir hinaus, vorsichtig, Schritt für Schritt, als würden wir das Gleichgewicht der Welt nicht stören wollen.

Draußen war es noch schlimmer.

Wir standen auf einem schmalen Streifen Erde über einem Abgrund. Unter uns – dunkler Wald, steiler Hang. Das Auto wurde nur von zwei riesigen Felsen gehalten. Der Schnee fiel dichter, die Straße war kaum zu erkennen. Kein Empfang. Kein Signal.

„Wenn wir nicht in einer Stunde zur Straße zurückkommen,“ sagte Mario ernst, „erfrieren wir hier.“

„Aber wohin sollen wir gehen?“ fragte Sofie mit zitternder Stimme.

Ich sah hinauf zum Serpentinenweg, der im Nebel verschwand.
„Zurück,“ sagte ich. „Den Reifenspuren nach. Von dort sind wir gekommen.“

Wir gingen langsam, hielten uns an den verbliebenen Geländern fest. Der Schnee biss in die Haut, die Stiefel rutschten. Hinter uns war das Auto schon verschwunden – als hätte es nie existiert.

Es verging eine Ewigkeit – oder vielleicht nur zwanzig Minuten –, bis in der Ferne Scheinwerfer auftauchten. Ein Auto. Wir winkten, schrien. Die Lichter hielten an. Ein Mann stieg aus – groß, mit dichter Bartstoppeln und warmem Akzent.

„Mein Gott… geht es euch gut?“ sagte er auf Deutsch.

Er hieß Josef Steiner. Er wohnte in einem Haus nicht weit von dort. Er setzte uns in sein Auto, wickelte uns in Decken, reichte heißen Tee.

„Ihr hattet Glück,“ sagte er leise. „Viele kehren von dieser Strecke nicht zurück.“

Ich sah zu meinen Freunden. Ihre Hände zitterten, Larisa lehnte sich an mich, still.

Wir waren losgefahren, um die Berge zu sehen.
Doch jetzt schienen sie uns anzusehen.

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