Es geschah in einem kleinen Dorf in Österreich, zwischen Hügeln und nebeligen Weiden. Jeder kannte Johann Müller – einen stillen, gutherzigen Bauern, der mehr mit Tieren sprach als mit Menschen. Er lebte in einem alten Haus, hatte einen Apfelgarten und nur ein einziges Pferd – eine dunkelbraune Stute namens Luna.
Doch kaum jemand wusste, wie sie zu ihm gekommen war.
Wie alles begann
Vor zehn Jahren, im Herbst, gab es einen starken Regen. Die Erde wurde weich, und am Waldrand öffnete sich eine tiefe Lehmmulde – ein alter, eingestürzter Brunnen. Eine junge Stute, erschrocken vom Gewitter, brach nachts durch den Zaun und stürzte hinein.
Am Morgen fand man sie – zitternd, voll Schlamm, mit verletztem Bein. Der Besitzer des Hofes wollte sie erschießen. „Sie überlebt sowieso nicht“, sagte er.
Doch Johann hielt ihn auf.
Er stieg selbst in die Grube hinunter, band aus Riemen und Seilen eine Schlinge und zog die Stute stundenlang heraus – fiel, stand wieder auf, zog weiter. Voller Schlamm, mit Blut an den Händen.
Als man ihn fragte: „Warum tust du das?“ antwortete er nur:
„Solange sie atmet – kämpft man.“
Er pflegte Luna gesund. Fütterte sie aus der Hand, schlief im Stall, damit sie keine Angst hatte. Seitdem trat sie ihn nie, lief nie weg.
Der letzte Weg
Mit 68 Jahren blieb Johanns Herz stehen – direkt im Stall. Man fand ihn im Heu liegend, seine Hand noch immer auf Lunas Hals.
Das Dorf beschloss, ihn ordentlich zu verabschieden – in der kleinen Kapelle auf dem Hügel. Die Menschen standen schweigend am Sarg, als plötzlich ein Hufschlag zu hören war.
Luna.
Sie hatte das Tor selbst geöffnet, über den Hof hinweg den Hügel hinauf zur Kapelle gefunden. Einige wollten sie aufhalten, doch der Pfarrer sagte:
„Fasst sie nicht an. Es ist ihr Recht.“
Die Stute trat an den Sarg heran, senkte den Kopf… und blieb stehen.
Sie bewegte sich nicht, fraß nicht, reagierte nicht. Sie stand nur da. Eine Stunde, drei Stunden, bis zum Abend.
Als der Sarg zum Friedhof getragen wurde, ging sie hinterher – langsam, wie ein Mensch.
Was man am Morgen sah
In der Nacht brachte man Luna zurück in den Stall – sie wehrte sich nicht.
Doch im Morgengrauen schrie eine Frau auf, die zum Grab ging.
Auf der frischen Erde lagen Äpfel aus Johanns Garten. Sauber, vom Regen gewaschen. Und daneben – Hufabdrücke.
Die Stute hatte sie selbst vom Baum geholt, gebracht und dort niedergelegt – an den Ort, wo ihr Mensch nicht mehr stand.
Dann stand sie leise daneben, bis die Sonne aufging.
Seitdem – jedes Jahr an diesem Tag – verlässt Luna den Pferch und stellt sich ans Grab. Still. Wortlos.
Man sagt, ein Pferd vergisst den Geruch, die Stimme und das Herz dessen nicht, der ihm das Leben gerettet hat.
Und Dankbarkeit – ist auch eine Sprache. Nur keine menschliche.

