Die Tochter entdeckte in einem alten Familienalbum ein Foto, auf dem ihre „Mutter“ schwanger mit ihr zu sehen war … fünf Jahre vor ihrer Geburt

Sofia kam für das Wochenende zu ihren Eltern. Das Haus, in dem sie aufgewachsen war, erschien ihr immer warm, sicher, wie eine unerschütterliche Insel der Vergangenheit. Am Abend, als ihre Eltern zu Bett gegangen waren, beschloss sie, auf dem Dachboden aufzuräumen – dort standen alte Kisten, Großmutters Bücher und vergilbte Alben verstaubt herum.

Sofia schaltete die Tischlampe ein, nahm ein altes Fotoalbum mit einem rissigen Ledereinband aus dem Regal und setzte sich auf den Boden. Es roch nach Staub, nach Zeit und nach etwas Vertrautem. Sie blätterte lächelnd durch die Seiten: Mama und Papa bei der Hochzeit, Oma und Opa im Garten, Fotos aus ihrer Kindheit, die sie schon fast vergessen hatte.

Doch dann, als sie eine der Seiten umblätterte, erstarrte Sofia.

Auf dem Schwarz-Weiß-Foto war ihre Mutter zu sehen – jünger, mit einem Zopf, in einem Kleid. Die Frau stand vor dem Haus, vor dem Hintergrund von Apfelbäumen, und hielt ihre Hände um ihren runden Bauch. Schwanger.

Unter dem Foto stand in ordentlicher Handschrift geschrieben: „Sommer 1985. Ich warte auf Sofia“.

Sofia begriff nicht sofort, was daran seltsam war. Aber dann überkam sie ein Schauer: Sie wurde 1990 geboren.

Ihre Finger zitterten. Sie blätterte um und sah ein weiteres Foto. Ihre Mutter saß mit einem Baby im Arm da. Daneben stand dasselbe Haus, derselbe Apfelbaum. Um den Hals des Kindes hing ein kleiner Anhänger in Form eines Herzens. Genau derselbe, den Sofia seit ihrer Kindheit trug.

Sie holte ihren heraus – auf der Rückseite war eingraviert: „Sofia. 1990.“

Das Mädchen spürte, wie sich ihr Herz zusammenzog. „Das ist unmöglich“, flüsterte sie. Vielleicht ein Fehler im Datum? Ein Scherz? Aber in den Augen der Frau auf dem Foto lag weder ein Spiel noch ein Zufall.

In derselben Nacht ging Sofia nach unten und klopfte vorsichtig an die Tür ihrer Eltern.
„Mama … bist du wach?“, fragte sie leise.

Ihre Mutter öffnete die Augen und setzte sich im Bett auf. Ihr Gesicht wurde sofort blass, als sie das Album in den Händen ihrer Tochter sah.

„Wo hast du das her?“
„Auf dem Dachboden. Mama, was bedeutet das? Auf dem Foto bist du schwanger … mit mir. Aber das Datum ist fünf Jahre vor meiner Geburt.“

Die Mutter schwieg lange. Dann atmete sie langsam aus, als hätte sie ihr ganzes Leben lang auf diese Frage gewartet.

„Sofia… diesen Sommer kann man nicht vergessen. Aber es gibt Dinge, an die man sich besser nicht erinnert.“
„Ich will die Wahrheit wissen.“

Der Blick ihrer Mutter wurde schwer wie Blei.
„Du bist nicht die erste Sofia in diesem Haus“, sagte sie fast flüsternd.

Der Mädchen wurde schwindelig.
„Was?“

„Sie starb vor der Geburt. Wir haben es nicht geschafft …“ Die Mutter senkte den Blick. „Ich konnte sie nicht loslassen. Deshalb habe ich dir ihren Namen gegeben, als du auf die Welt kamst. Und vielleicht“, sie sah ihre Tochter schmerzerfüllt an, „lebt etwas von ihr in dir weiter.“

Sofia spürte, wie ihr ein Schauer über den Rücken lief. Sie sah sich das Foto noch einmal an: dasselbe Lächeln, derselbe Blick. Und zum ersten Mal in ihrem Leben hatte sie das Gefühl, dass die Frau auf dem Foto sie direkt ansah.

Später, schon nachts, konnte Sofia nicht einschlafen. Sie holte den Anhänger heraus, öffnete ihn – und darin, unter Glas, befand sich ein winziges, verblasstes Foto. Ein Mädchen. Mit Augen, die ihren eigenen schmerzlich ähnlich sahen.
Auf der Rückseite stand in derselben Handschrift wie im Album:
„Meine Sofia. 1985.“

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